Für Betriebe bedeuten Klauenerkrankungen bei Rindern nicht nur Tierleid, sondern auch wirtschaftliche Belastungen. Der erste Teil der zweiteiligen Artikelserie behandelt Ursachen und Folgen.
Die Klauengesundheit lässt sich einerseits durch regelmäßige Bewertung des Gangbildes bewerten. Schmerzhafte Klauenerkrankungen (KE) gehen mit einer Störung des Gangbildes einher, sodass betroffene Rinder die schmerzhaften Gliedmaßen entlasten und lahm sind (Abb. 1, 2 a, b). Zusätzlich kann die Klauengesundheit durch sorgfältige Untersuchung der Klauen auf das Vorliegen von (schmerzhaften) Erkrankungen am Klauenhorn/an der Klauenhaut (Abb. 3 - 5) bewertet werden. Etwa 85% aller Lahmheitsursachen werden bei Milchkühen durch Klauen- und Zehenerkrankungen verursacht.
Man unterscheidet einerseits Klauenhorn- und Klauenhauterkrankungen sowie andererseits infektiöse und nichtinfektiöse Klauenerkrankungen (KE). Letztere werden auch als Klauenhornerkrankungen (KHE) bezeichnet, dazu gehören alle Defekte am Klauenhorn und der darunterliegenden Lederhaut an Sohle, Wand und Weichballen (Abb. 3 a, b). Grundsätzlich sind hierfür immer übermäßige chronische Druckeinwirkungen (von außen unten/oben von innen) verantwortlich, daher werden sie auch als druckbedingte KE bezeichnet. Bei ihnen kommt es erst sekundär zur Infektion der freiliegenden Lederhaut (bei Geschwüren, Weiße-Linie-Abszessen) mit unspezifischen Keimen.
Infektiöse KE sind Faktorenerkrankungen, bei denen ein bestimmtes Bakterium die Krankheit auslöst. Dazu zählen die Mortellaro-Krankheit und die Zwischenklauenphlegmone ("Panaritium") (Abb. 4 a - c). Die dafür spezifischen, anaeroben Bakterien benötigen für das Angehen der Infektion allerdings eine durch Umweltbedingungen vorgeschädigte Haut.
Für den Untersucher ist es wichtig zu verstehen, ob die vorliegende KE für das Rind grundsätzlich mit Schmerzen und damit mit Lahmheit einhergeht oder nicht. Mit Lahmheit und Schmerzen verbundene KE werden als Alarmerkrankungen bezeichnet, sodass im Sinne des Tierwohls eine sofortige, fachgerechte und konsequente Behandlung vorgenommen werden sollte, um ernsthafte Komplikationen wie eine eitrige Entzündung des Klauengelenkes (Abb. 5 a, b) zu vermeiden.
Zu den Alarmerkrankungen zählen alle Geschwüre, der Weiße-Linie-Abszess, die Sohlenspitzennekrose, das akute (M2) Mortellarostadium, alle mortellaroinfizierten KHE (Abb. 6), die Zwischenklauenphlegmone sowie mittel- und hochgradige Schwellungen des Ballens/Kronsaums. Im Gegensatz zu den Alarmerkrankungen gehen andere Klauendefekte wie Ballenhornfäule, Sohlenblutung, Doppelsohle, Weißer-Linie-Defekt, konkave Vorderwand, Hornspalt, Limax sowie chronische (M4 und M4.1) und frühe (M1) Mortellarostadien nur selten oder nicht mit Schmerzen einher. Alle diese genannten Klauenerkrankungen sind in der LFI-Broschüre 2021 und im Atlas der Klauengesundheit übersichtlich dargestellt.
Risikofaktoren
Die Risikofaktoren für die Entwicklung druckbedingter KHE und infektiöser KE sind mannigfaltig (Abb. 7) und je nach Betrieb unterschiedlich. Dazu zählen zu geringe Dimensionen und mangelhafte Qualität der Lauf- und Liegeflächen, zu wenig Einstreu, zu geringe Zahl der Liege- und Fressplätze, zu wenige Tränkestellen sowie Sackgassen und Engstellen. Viele dieser Risikofaktoren sowie auch Hitzestress führen zu deutlich (um mehrere Stunden) verlängerten Stehzeiten der Rinder am (meist) harten Boden. Dadurch wird der Druck auf die Klauenlederhaut weiter verstärkt.
Feuchte, verschmutzte Lauf- und Liegeflächen führen zur Auflösung der Haut, des Horns am Weichballen und der weißen Linie sowie zu anaeroben Bedingungen an der Hautoberfläche, sodass das Eindringen von Keimen, welche infektiöse KE auslösen, stark begünstigt wird. Ein hilfreiches Kriterium zur Überprüfung mangelhafter Hygiene der Lauf- und Liegeflächen ist die Beurteilung des Verschmutzungsgrades der Kühe an definierten Körperregionen (Abb. 8 a, b).
Nichtwiederkäuergerechte Fütterung mit zu hohem Kraftfutter-, zu hohem Protein- und zu geringem Rohfaseranteil in der Ration und eine zu geringe Verteilung der Kraftfuttergaben über den Tag führen zu einer subakuten Pansenazidose. Die Folge sind subklinische/subakute Reheschübe, sodass das Klauenbein im Hornschuh absinkt und die Klauenfettpolster längerfristig ihre Stossdämpferfunktion verlieren. Das führt zu verstärktem Druck von innen auf die Klauenlederhaut. Typische klauenreheassoziierte Befunde sind Sohlenblutungen, Doppelsohlen, später Sohlengeschwüre und Weiße-Linie-Defekte sowie konkave Vorderwände. Auch Mangelzustände (Biotin: durch Pansenazidose verstärkt; Zink; Selen u. a. m.) können zu einer verminderten Hornqualität beitragen.
Zudem spielen genetische Faktoren eine wichtige Rolle: So sind Rollklauen, eine zu niedrige Trachtenhöhe (<3 cm) an inneren Hinterklauen und die Anfälligkeit für die Mortellaroinfektion ("Typ-3-Rinder") genetisch bedingt. Um genetisch bedingte Risikofaktoren längerfristig minimieren zu können, ist es erforderlich, dass bei jeder Herdenklauenpflege alle Befunde elektronisch dokumentiert, zentral von Zuchtorganisationen erfasst und ausgewertet werden, um entsprechende Vererber zukünftig von der Zucht ausschließen zu können.
Ein oft unterschätzter Risikofaktor für das Auftreten von KE ist ein nicht fachgerechtes Management durch die betreuenden Personen ("der menschliche Faktor"). Dazu zählen der "raue" Umgang mit den Tieren und Überbelag (Stress), die gemeinsame Haltung und Fütterung von laktierenden und trockengestellten Kühen, zu lange Klauenpflegeintervalle (12 - 6 Monate), keine Klauenpflege bei hochträchtigen Kalbinnen und Trockenstehern, unsachgemäß durchgeführte Klauenpflege, wodurch Defekte/schmerzhafte KE nicht fachgerecht versorgt werden, zu späte Erkennung und Behandlung lahmer Rinder sowie fehlende Nachkontrolle behandelter Tiere. Studien haben gezeigt, dass die Lahmheitshäufigkeit in Milchviehherden bei guter Ausbildung, hohem Fachwissen und fachgerechter Behandlung durch die betreuenden Personen signifikant geringer ist.
Auswirkungen
Lahmheiten stellen bei Milchrindern aufgrund ihrer schmerzbedingten Ursachen ein ernstes Tierschutzproblem dar. In Studien, in 144 österreichischen Milchviehherden durchgeführt, wurde eine mittlere Lahmheitshäufigkeit von 31% während einer Laktationsperiode berichtet. Davon wiesen 8% der Kühe wiederholt auftretende, hochgradige Lahmheiten auf. Lahmheiten bei trockenstehenden Kühen und in der Frühlaktation wirken sich besonders negativ auf die Leistungsparameter aus: Der Anteil lahmer Kühe in den ersten 100 Laktationstagen betrug in dieser Studie im Mittel 34,7%.
Lahmheiten lagen laut Zuchtdata Jahresbericht 2022 nach Fruchtbarkeitsstörungen und Mastitiden mit 7,5% an dritter Stelle der krankheitsbedingten Abgangsursachen bei Milchkühen in Österreich. Die durch Lahmheit verursachten mittleren Gesamtverluste wurden mit ca. 450 Euro pro Kuh und Jahr beziffert. In zahlreichen Studien wurden lahmheitsbedingte mittlere Verluste von 270 - 857 kg Milch während einer Laktationsperiode berichtet. In Studien, bei denen tägliche Milchmengenmessungen vorlagen, wurde gezeigt, dass Milchmengenverluste bereits ca. sechs Wochen vor dem Nachweis der Lahmheit feststellbar waren und dass diese auch noch ca. bis zu vier Wochen nach Abklingen der Lahmheitsepisode andauerten. Dies unterstreicht die Wichtigkeit einer frühzeitigen Identifizierung geringgradig lahmer Kühe.
Schmerzbedingte KE haben zudem auch negative Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit, insbesondere dann, wenn sie bei Kühen in der Frühlaktation auftreten. Kühe mit schmerzhaften KE zeigen ein deutlich abgeschwächtes Brunstverhalten bzw. ein signifikant verspätetes Einsetzen des Zyklus. Zudem kommt es bei ihnen zu einer reduzierten Futteraufnahme, was speziell bei deutlich lahmen Kühen in der Frühlaktation ein Energiedefizit mit Fettmobilisation und Verminderung der Körperkondition (BCS) und eine Ketose zur Folge hat. Kühe mit mittelgradiger Lahmheit zeigten im Vergleich zu nicht lahmen Kühen während der ersten 70 Laktationstage eine im Durchschnitt um 30 Tage verlängerte Güstzeit und eine um bis zu 24% verminderte Wahrscheinlichkeit, trächtig zu werden. Auch Lahmheiten bei trockenstehenden Kühen führen zu einer signifikant verlängerten Güstzeit, wie unlängst bei österreichischen Fleckviehkühen nachgewiesen wurde (Abb. 9).
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