Schweiz: Herdenschutz am Limit!
Wie ist Ihre Einstellung zum Wolf?
Marcel Züger: Es gibt einen Artikel von 1997, wo ich noch schrieb, wir sollen dem Wolf „eine würdige Rückkehr in seine alte Heimat“ ermöglichen. Damals habe ich mich für den Wolf eingesetzt. Meine Einstellung gegenüber dem Wolf in der Schweiz hat sich unter anderem durch die enge Zusammenarbeit mit den Landwirten geändert. Vor rund zwei Jahren und mit den zunehmenden Schäden an Weidetieren erahnte ich, was noch alles auf uns zukommen wird. Der Wolf ist nicht, wie wir gedacht haben. Die Probleme werden komplett unterschätzt.
Wie meinen Sie das?
Menschenscheu, selten, nachtaktiv, ein einfacher Zaun oder die Anwesenheit eines Hundes hält ihn fern, so war er beschrieben worden. Wölfe sind intelligente, äußerst anpassungsfähige Jäger. Sie lernen auch ausgeklügelte Herdenschutzmaßnahmen zu umgehen. Sie merken, dass ihnen vom Menschen keine Gefahr droht, und sie werden immer dreister.
Was sind die Problematiken?
Viele Schafherden wurden in den letzten Jahren durch große Aufwände geschützt. Ein befreundeter Biologe hat einmal gesagt: „Der Wolf ist auch nur ein fauler Hund.“ Nach diesem Motto greifen die Wölfe nun das nächstschwächere, ungeschützte Opfer an, nämlich Jungrinder. Es ist bedenklich, dass die Wölfe nun auch Großtiere angreifen. Trotz all der Bemühungen rund um den Herdenschutz werden die Maßnahmen bald nicht mehr ausreichen. Sie sprengen mittlerweile den Rahmen.
Wie meinen Sie das?
Wenn der Hirte, der sowieso schon lange Arbeitstage hat, jeden Abend die ganze Herde in Nachtpferchen unterbringen soll, steigt der Arbeitsaufwand ins Unermessliche. Es müssen so täglich riesige Distanzen in unwegsamem Gebiet von den Weideflächen zu den Nachtpferchen zurückgelegt werden. Das belastet die Hirten, die Hirtenhunde und auch die Schafe.
Wie sieht es mit den Herdenschutzhunden als Abwehr aus?
Aktuell profitieren wir noch vom Vergrämungseffekt der Hunde auf den Wolf. Dass dies dauerhaft funktioniert, ist eine Illusion. Die Herdenschutzhunde in der Schweiz werden nach bestem Wissen und Gewissen ausgebildet. Die abgegebenen Hunde sind wie Soldaten nach der Rekrutenschule. Wenn sie aber dann draußen sind und es wirklich zu einem Wolfsangriff kommen sollte, ist es für sie Neuland. Damit die Hunde gegen ein geübtes Wolfsrudel eine Chance hätten, bräuchte es im Kampf ein Verhältnis von 1 :1. Nach einem Wolfskontakt werden Herdenschutzhunde zur Gefahr.
Wieso das?
Dann stehen sie noch voll unter Strom und reagieren heftiger auf Biker und Wanderer, erst recht, wenn sie Hunde mitführen. Gerade in touristisch genutzten Gebieten wird es nur noch ein „Entweder-Oder“ geben. Entweder Beweidung mit intensivem Herdenschutz oder Tourismus mit Wandern und Biken – dann ist aber Herdenschutz nicht verantwortbar. Für den Tourismus ist nicht so sehr der Wolf selber eine Gefahr, sondern die Herdenschutzmaßnahmen.
Welche Auswirkungen hat der Wolf auf die Alpwirtschaft?
Er erschwert gerade die naturnahste Landwirtschaft. Und das in jenen Gebieten, die für die Biodiversität besonders wichtig sind. Dem Tierwohl wird im Berggebiet besonders gut entsprochen. Der Wolf treibt die Entwicklung genau in die gegenteilige Richtung. Ohne rigorose Eingriffe wird die naturnahe Alp- und Berglandwirtschaft große Verluste erfahren. Die Landschaft und die Natur werden nicht mehr frei zugänglich sein, man wird nicht mehr einfach unbekümmert raus gehen und genießen können.
Wie meinen Sie das?
Noch wichtiger als die eigentliche Wolfspräsenz sind ihre Folgen: aggressive Herdenschutzhunde und angriffige Mutterkühe. Aber auch die unmittelbare Gefahr kann nicht negiert werden. Es gibt bereits jetzt Regionen, wo die Leute nicht mehr ruhigen Gewissens im Wald Pilze suchen gehen. Für den Menschen sehe ich derzeit noch keine akute Gefahr. Wenn die Entwicklung so weitergeht, wird sich das schon bald ändern. Die Wolfsfreunde spielen die Begegnungen zwischen Wolf und Mensch herunter.
Können Sie Beispiele nennen?
Beispielsweise die Hirtin, die im Sommer zwei Wolfskontakte hatte: Beide Male sind die Wölfe auf sie zugekommen und nicht umgekehrt. Sie hat zum Glück richtig reagiert. Ich mag mir aber nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn sie die Nerven verloren hätte, davon gerannt und den Beutetrieb der Wölfe geweckt hätte.
Marcel Züger: Es gibt einen Artikel von 1997, wo ich noch schrieb, wir sollen dem Wolf „eine würdige Rückkehr in seine alte Heimat“ ermöglichen. Damals habe ich mich für den Wolf eingesetzt. Meine Einstellung gegenüber dem Wolf in der Schweiz hat sich unter anderem durch die enge Zusammenarbeit mit den Landwirten geändert. Vor rund zwei Jahren und mit den zunehmenden Schäden an Weidetieren erahnte ich, was noch alles auf uns zukommen wird. Der Wolf ist nicht, wie wir gedacht haben. Die Probleme werden komplett unterschätzt.
Wie meinen Sie das?
Menschenscheu, selten, nachtaktiv, ein einfacher Zaun oder die Anwesenheit eines Hundes hält ihn fern, so war er beschrieben worden. Wölfe sind intelligente, äußerst anpassungsfähige Jäger. Sie lernen auch ausgeklügelte Herdenschutzmaßnahmen zu umgehen. Sie merken, dass ihnen vom Menschen keine Gefahr droht, und sie werden immer dreister.
Was sind die Problematiken?
Viele Schafherden wurden in den letzten Jahren durch große Aufwände geschützt. Ein befreundeter Biologe hat einmal gesagt: „Der Wolf ist auch nur ein fauler Hund.“ Nach diesem Motto greifen die Wölfe nun das nächstschwächere, ungeschützte Opfer an, nämlich Jungrinder. Es ist bedenklich, dass die Wölfe nun auch Großtiere angreifen. Trotz all der Bemühungen rund um den Herdenschutz werden die Maßnahmen bald nicht mehr ausreichen. Sie sprengen mittlerweile den Rahmen.
Wie meinen Sie das?
Wenn der Hirte, der sowieso schon lange Arbeitstage hat, jeden Abend die ganze Herde in Nachtpferchen unterbringen soll, steigt der Arbeitsaufwand ins Unermessliche. Es müssen so täglich riesige Distanzen in unwegsamem Gebiet von den Weideflächen zu den Nachtpferchen zurückgelegt werden. Das belastet die Hirten, die Hirtenhunde und auch die Schafe.
Wie sieht es mit den Herdenschutzhunden als Abwehr aus?
Aktuell profitieren wir noch vom Vergrämungseffekt der Hunde auf den Wolf. Dass dies dauerhaft funktioniert, ist eine Illusion. Die Herdenschutzhunde in der Schweiz werden nach bestem Wissen und Gewissen ausgebildet. Die abgegebenen Hunde sind wie Soldaten nach der Rekrutenschule. Wenn sie aber dann draußen sind und es wirklich zu einem Wolfsangriff kommen sollte, ist es für sie Neuland. Damit die Hunde gegen ein geübtes Wolfsrudel eine Chance hätten, bräuchte es im Kampf ein Verhältnis von 1 :1. Nach einem Wolfskontakt werden Herdenschutzhunde zur Gefahr.
Wieso das?
Dann stehen sie noch voll unter Strom und reagieren heftiger auf Biker und Wanderer, erst recht, wenn sie Hunde mitführen. Gerade in touristisch genutzten Gebieten wird es nur noch ein „Entweder-Oder“ geben. Entweder Beweidung mit intensivem Herdenschutz oder Tourismus mit Wandern und Biken – dann ist aber Herdenschutz nicht verantwortbar. Für den Tourismus ist nicht so sehr der Wolf selber eine Gefahr, sondern die Herdenschutzmaßnahmen.
Welche Auswirkungen hat der Wolf auf die Alpwirtschaft?
Er erschwert gerade die naturnahste Landwirtschaft. Und das in jenen Gebieten, die für die Biodiversität besonders wichtig sind. Dem Tierwohl wird im Berggebiet besonders gut entsprochen. Der Wolf treibt die Entwicklung genau in die gegenteilige Richtung. Ohne rigorose Eingriffe wird die naturnahe Alp- und Berglandwirtschaft große Verluste erfahren. Die Landschaft und die Natur werden nicht mehr frei zugänglich sein, man wird nicht mehr einfach unbekümmert raus gehen und genießen können.
Wie meinen Sie das?
Noch wichtiger als die eigentliche Wolfspräsenz sind ihre Folgen: aggressive Herdenschutzhunde und angriffige Mutterkühe. Aber auch die unmittelbare Gefahr kann nicht negiert werden. Es gibt bereits jetzt Regionen, wo die Leute nicht mehr ruhigen Gewissens im Wald Pilze suchen gehen. Für den Menschen sehe ich derzeit noch keine akute Gefahr. Wenn die Entwicklung so weitergeht, wird sich das schon bald ändern. Die Wolfsfreunde spielen die Begegnungen zwischen Wolf und Mensch herunter.
Können Sie Beispiele nennen?
Beispielsweise die Hirtin, die im Sommer zwei Wolfskontakte hatte: Beide Male sind die Wölfe auf sie zugekommen und nicht umgekehrt. Sie hat zum Glück richtig reagiert. Ich mag mir aber nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn sie die Nerven verloren hätte, davon gerannt und den Beutetrieb der Wölfe geweckt hätte.
Fact-Box Schweiz
- Verfünffachung der Wolfsrisse an Nutztieren in den letzten zehn Jahren trotz Herdenschutzmaßnahmen.
- Es gibt rund 240 Herdenschutzhunde auf Schweizer Almen – die für 30 dokumentierte Beißattacken auf Menschen (26) und Hunde (4) verantwortlich sind.
- Gesamtkosten pro Wolf in der Schweiz (Herdenschutz, Entschädigung etc.) mehr als 100.000 Franken pro Jahr.
Zur Person
Marcel Züger ist Biologe und Naturschützer. Er hat das Biologiestudium an der ETH in Zürich absolviert ist Inhaber des Ökobüros Pro Valladas GmbH in Graubünden, das sich um Landschaftspflege und Naturschutz kümmert.