Gegenseitiges Besaugen verhindern
Oftmals behalten die Tiere das Verhalten bei und saugen auch als adulte Tiere, was zu Euterentzündungen, Mastitis und damit einhergehendem Milchverlust führen kann. Das Besaugen ist eine Verhaltensabweichung, welche ein Tierwohlproblem darstellt. Die Tiere saugen im Maulbereich oder anderen Körperstellen ihrer Artgenossen, zum Beispiel im Bereich der Euteranlage oder am Nabel mit typischen Kopfstößen und Saugbewegungen. Oft zeigen die besaugten Tiere keine Reaktion, wehren sich nicht und entziehen sich auch nicht dem Verhalten. Das kann bei den besaugten Tieren zu Hautschäden, haarlosen Stellen oder Entzündungen führen. Im Magen des saugenden Kalbes kann es zur Bildung von Haarbällen kommen, was zu Verdauungsstörungen führen kann. Manchmal werden sogar Stalleinrichtungen angenagt und angesaugt. Das Saugen am Maul findet meist unmittelbar nach der Milchaufnahme statt, da sich um das Flotzmaul der Kälber noch Milchschaum und -reste befinden, welche das gegenseitige Besaugen stimulieren. Verschiedene wissenschaftliche Arbeiten haben auch tendenziell gezeigt, dass das Besaugen bei der Rasse Fleckvieh häufiger auftritt und auf Milchviehbetrieben mit anderen Rassen, zum Beispiel Schwarzbunten, eher kein Problem darstellt. Es dürfte eine genetische Disposition für diese orale Verhaltensabweichung beim Fleckvieh geben.
In der Mutterkuhhaltung saugen die Kälber bei der Mutter acht- bis zehnmal am Tag für 60 bis 70 Minuten. Dabei wird nicht ausschließlich Milch aufgenommen, sondern es gibt dabei auch Leersaugphasen, die Kälber hängen einfach am Euter der Mütter und befriedigen ihr Saugbedürfnis. In der Milchviehhaltung erhalten die Tiere ihre Milch zweimal am Tag und haben nur wenige Minuten, um zu saugen. Dieser große Unterschied zwischen dem, was wir dem Kalb bieten, und dem, was es eigentlich vom ursprünglichen Verhalten her braucht, bringt die Problematik des gegenseitigen Besaugens mit sich. In sehr seltenen Fällen kann auch Hunger, eine unzureichende Sättigung der Kälber, die Ursache sein.
Ansätze zur Lösung
Rechtzeitig gesetzte, vorbeugende Maßnahmen können das Verhalten verhindern oder zumindest eindämmen. Denn oftmals werden den Tieren auf Betrieben Nasenklammern eingesetzt, was die Ausübung zwar verhindert, jedoch das Bedürfnis nach Saugen nicht befriedigt. Achtung: Nasenwanddurchtrennende Ringe sind bei weiblichen Tieren nicht erlaubt! Eine Einzelhaltung der Tiere ist per Gesetz ebenfalls nicht erlaubt, die Tiere müssen Sicht- und Berührungskontakt haben. Daher muss das Befriedigen des Saugbedürfnisses passieren, um das Problem zu beheben.
Durch häufigere Milchgaben (mehrere Mahlzeiten über den Tag verteilt) oder Erhöhung der Saugdauer kann dem Besaugen zum Beispiel entgegengewirkt werden. Kälber am leeren Kübel weiter nuckeln zu lassen (Leersaugen), z. B. 20 Minuten länger, kann das Saugbedürfnis der Kälber besser befriedigen. Je länger die Tiere mit Saugen verbringen können, desto geringer die Problematik. Daher kann eine Fixierung der Kälber beim Tränken für mindestens 30 Minuten sinnvoll sein, da das Saugbedürfnis der Kälber zirka 20 Minuten nach dem Tränken zurückgeht. Ein hoher Saugwiderstand (kein Vergrößern des Lochs am neuen Nuckel!) sorgt zusätzlich für längeres Nuckeln während des Tränkens. Wenn leere Nuckel in der Box angeboten werden (an Wänden oder Brettern montiert) - sowie Wassernuckel - wird das Saugbedürfnis auch außerhalb der Tränkezeit befriedigt. Festgestellt werden konnte in Untersuchungen auch, dass das gegenseitige Besaugen in homogenen Gruppen (geringer Altersunterschied) weniger häufig vorkommt. Ein Augenmerk sollte auf die Energieversorgung vor und nach dem Absetzen gelegt werden. Eine ausreichende Kraftfutteraufnahme sollte gewährleistet sein, um Energiedefizite zu vermieden. Hunger kann ein Motivator für Weitersaugen sein.
Da das Besaugen vor allem beim Fleckvieh ein vererbbares Merkmal darstellt, ist Selektion ebenfalls als Lösungsansatz zu sehen. Man sollte dieses Merkmal bewusst ausselektieren (die Merkmalerfassung ist allerdings schwierig, es wird bei der Milchkontrolle nicht aufgezeichnet). Ein nachhaltiger Lösungsansatz ist die kuhgebundene Kälberaufzucht, welche auf Biobetrieben immer wieder erfolgreich praktiziert wird. Durch die muttergebundene Aufzucht sind die Kälber dauerhaft oder zumindest sehr oft bei der Mutter, was zu einem vollständigen Verschwinden des Problems führen kann. Ein interessantes Projekt gibt es dazu von Bio Austria; die Website ist am Ende des Artikels verlinkt.
Tipps aus der Praxis
Grundsätzlich sind eine reizreiche Umgebung und viel Platzangebot für Kälber sehr wichtig, es darf ihnen nicht langweilig werden. Ein attraktiver Auslauf sowie eine gute Raufutterversorgung stellen zusätzlich die Grundlagen der Kälberhaltung dar. Tritt das Problem gegenseitiges Besaugen am Betrieb auf, ist es wichtig, den Kälbern viel Aufmerksamkeit zu widmen. Es ist zu prüfen: Ist genügend (sehr viel) Einstreu vorhanden, sind die Kälber ausreichend gesättigt, haben sie genug frisches Wasser und Heu zur Verfügung? Kälber sind neugierig, sie erkunden ihre Umgebung, welche abwechslungsreich sein sollte. Zur Verfügung gestelltes Kälberspielzeug hat sich in der Praxis bewährt, um Besaugen zu reduzieren. Allerdings muss auch hier ständig nachjustiert werden, einmal zur Verfügung gestelltes Spielzeug wird nach einiger Zeit langweilig, die Kälber gewöhnen sich daran, und es wird nicht mehr angenommen. Vorsicht bei herausstehenden Nägeln oder Schrauben, es darf keine Verletzungsgefahr durch Spielzeug entstehen. Geeignet sind zum Beispiel so genannte "Futterspielbälle", die mit Heu gefüllt werden und in der Box herunterhängen. Man kann auch einfach einen Kübel mit Heu, in welchen Öffnungen geschnitten werden, oder ein Rohr mit Öffnungen und Heu verwenden. Auch ein einfaches Heunetz im Kälberstall hilft, die Tiere zu beschäftigen. Mehrere Sauger in der Box befriedigen das Saugbedürfnis nach der Tränkezeit, rotierende/bewegliche Lecksteine oder auch Reisig werden als Beschäftigung zum Saugen und Knabbern für eine gewisse Zeit gerne angenommen.