Wie viel Faser ein Mastrind braucht

Leistung versus Pansengesundheit
Das Verdauungssystem eines Wiederkäuers ist naturgemäß dahingehend optimiert, faserreiche Nahrung aufzuschließen, und stößt bei einem zu hohen Anteil an leicht verdaulichen Kohlenhydraten an seine Grenzen. Der Pansen-pH-Wert von Rindern, denen ausschließlich Raufutter gefüttert wird, liegt üblicherweise in einem Bereich zwischen 6,5 und 7,5. Die Zufütterung von Silage und Kraftfutter erhöht die Verfügbarkeit von Energie und damit das Leistungsniveau des Rindes. Die darin enthaltenen schnell abbaubaren Kohlenhydrate führen jedoch dazu, dass der Pansen-pH-Wert sinkt.
Je mehr Silage und Kraftfutter und je weniger Raufutter in einer Ration enthalten sind, desto tiefer kann der Pansen-pH-Wert absinken. Bereits ab einem Pansen-pH-Wert von 5,7 können beim Rind erhebliche gesundheitliche Probleme auftreten. In der Fütterung von Mastrindern zwischen einem ausreichenden Faseranteil und der benötigten Menge an leicht verdaulichen Kohlenhydraten die richtige Balance zu finden, ist somit eine große Herausforderung. Sie ist jedoch entscheidend, nicht nur, um eine reguläre Pansenfunktion aufrechtzuerhalten, sondern um den gesamten Stoffwechsel des Rindes stabil zu halten.
Gelingt dies nicht, trägt diese Imbalance entscheidend zum Auftreten von Pansenazidose bei. Darunter versteht man eine Stoffwechselerkrankung des Rindes infolge einer Übersäuerung des Pansens. Hierbei unterscheidet man zwei Hauptformen: die akute Pansenazidose und die subakute Pansenazidose (SARA). Der Unterschied zwischen der akuten und der subakuten Form besteht darin, dass der Abfall des pH-Werts im Pansen bei der akuten Pansenazidose stärker ausgeprägt ist und die klinischen Zeichen deutlicher zu sehen sind.
Klinische Symptome der Pansenazidose sind: reduzierte Wiederkautätigkeit, intermittierende („mit Unterbrechungen“, Anm.) Appetitlosigkeit, gefüllter Pansen trotz verminderter Futteraufnahme, wiederkehrender Durchfall (heller säuerlicher Kot), Störung des Allgemeinbefindens, Lahmheit, kolikartige Schmerzen, Festliegen mit zur Seite eingeschlagenem Kopf, Dehydrierung, gesteigerte Atemfrequenz bis hin zu zentralnervösen Symptomen (Blindheit, Taumeln). Treten keine sichtbaren Symptome auf, so lässt sich eine Pansenazidose oftmals anhand von gehäuften Befunden von Leberabszessen bei der Fleischuntersuchung nach der Schlachtung identifizieren.
Tritt in einem Rindermastbetrieb keines dieser Symptome auf, so kann durchaus begründet angenommen werden, dass sich in ausreichendem Maß strukturwirksame Fasern in der Ration befinden. Liegen zudem noch die Zunahmen auf überdurchschnittlich hohem Niveau, so darf wohl auch angenommen werden, dass zwischen einem ausreichenden Faseranteil und der benötigten Menge eine gute Balance an leicht verdaulichen Kohlenhydraten gefunden wurde.
Erreichen die Tiere diese Leistungen trotz ausreichenden Angebotes an leicht verdaulichen Kohlenhydraten nicht und treten zudem noch Symptome einer Pansenazidose auf, ist es jedenfalls ratsam, sich mit dem Thema Strukturversorgung von Mastrindern zu befassen. Hilfsmittel, wie Pansenpuffer und Futterhefen, sind zwar geeignet, die Symptome zu lindern, stellen jedoch keine Lösung für das grundsätzliche Problem dar.
Strukturbedarf oft wenig beachtet
Damit kann man sich jedoch auch in falscher Sicherheit wiegen, denn 300 g Stroh je Tier und Tag sind noch keine Gewähr dafür, dass die Pansengesundheit erhalten bleibt. Um eine Ration hinsichtlich einer adäquaten Faserversorgung überprüfen zu können, entwickelte D. R. Mertens Ende der 1990er-Jahre an der Pennsylvania State University in den USA das Konzept der physikalisch wirksamen Fasern ("physically effective neutral detergent fiber", peNDF). Dieses Konzept vereint Informationen über die chemischen Bestandteile (Fasergehalt NDF) und Strukturmerkmale (Partikelgrößen) von Futtermitteln, die gemeinsam und voneinander abhängig wirken, um die Gärung und den Säure-Basen-Haushalt im Pansen zu stabilisieren.

Futterpartikel immer kürzer
Wenn Rinder weniger Zeit mit dem Kauen verbringen, produzieren sie auch weniger Speichel. Dieser wird zur Stabilisierung des pH-Werts im Pansen benötigt. In einem gesunden Pansen werden rund 20% der im Zuge der bakteriellen Abbauprozesse freigesetzten Fettsäuren durch die Puffersubstanzen im Speichel neutralisiert. Zu lange Futterpartikel sollten jedoch auch vermieden werden, da dadurch die Verdauungsgeschwindigkeit (Passagerate) sinkt und aus der daraus folgenden niedrigeren Futteraufnahme zumeist niedrigere Zunahmen resultieren. Zudem neigen die Tiere dazu, die Ration mit zu langen Futterpartikeln zu selektieren, sodass sich das verzehrte Futter stark von der ursprünglichen Zusammensetzung unterscheiden kann.
Die negativen Folgen von Futterselektion aus Mischrationen wiegen in der Praxis so schwer, dass die Nachteile von kurzen Futterpartikeln zumeist bewusst in Kauf genommen werden. Zudem können kurze Partikel die Gärqualität von Silagen erheblich verbessern. Deshalb geht auch aus diesem Grund der Trend zu immer weniger Struktur im Grundfutter. Silagen mit kurzen Partikeln erweisen sich auch hinsichtlich der Neigung zur Nacherwärmung eines Silostocks als vorteilhaft. Denn sie lassen sich im Vergleich zu Silagen mit langen Futterpartikeln besser verdichten und weisen somit deutlich mehr Stabilität gegenüber aeroben Prozessen an der Anschnittfläche auf. All diese Faktoren führen dazu, dass in der Praxis die Futterpartikelgrößen zunehmend geringer sind und in der Folge an die Grenzen dessen, was ein wiederkäuendes Rind noch verträgt, herangeführt werden.

Partikel mit Schüttelbox separieren
Diese Partikelfraktion sorgt für zusätzliche Pufferkapazität im Pansen und hilft somit, den pH-Wert des Pansens zu modifizieren. Das 8-mm-Sieb sammelt hauptsächlich Futterpartikel, die zwar auch Teil der Futtermatte im Pansen sind, aber mit weniger Wiederkäuen schneller abgebaut werden. Futterpartikel, die auf dem 4-mm-Sieb liegen bleiben, sind oft, aber nicht notwendigerweise, von Natur aus hochfaserig. Nach der Nahrungsaufnahme werden diese Partikel anfangs auch in der Futtermatte des Pansens eingeschlossen, aber sie können leicht durch minimales Wiederkäuen oder durch schnelle mikrobielle Einwirkung abgebaut werden. In jedem Fall haben diese Futterpartikel einen kleinen, aber mitunter signifikanten Einfluss auf die Pufferung des Pansens.
Partikel, die in den Siebboden durchfallen, also kleiner als 4 mm sind, haben dem Konzept zufolge keine die Pansengesundheit fördernde Wirkung mehr. Partikel in der Größe von 4 mm stellen die sogenannte kritische Größenschwelle dar, ab der Partikel den Pansen in Richtung Dünndarm verlassen können. Der Penn State Particle Separator (PSPS) ermöglicht somit eine Schätzung der Menge beziehungsweise des Prozentsatzes eines Futters oder einer Totalenmischration (TMR), die dem Rind physikalisch wirksame Fasern liefert.
Mindestgehalt an physikalisch wirksamen Fasern
Um maximale tägliche Zunahmen zu erreichen, sprach Dr. Mertens 2002 die Empfehlung aus, peNDF-Werte von 12 bis 15% in der Ration einzuhalten. In der Zwischenzeit gab es in den USA einige weitere Fütterungsversuche, sodass nach derzeitigem Stand für die Fütterung von Mastrindern eher 8 bis 10% empfohlen werden. Die Angaben in der europäischen Literatur liegen zumeist höher - im Bereich um die 18 bis 21%. Unabhängig davon gilt, dass die Werte an die Höhe der Futteraufnahme und den Gehalt an pansenabbaubarer Stärke angepasst werden sollten. Grob umrissen bedeutet dies: Je höher die Trockenmasseaufnahme und/oder je höher der Gehalt an pansenabbaubarer Stärke ist, umso mehr Struktur braucht der Pansen zum Ausgleich.
Zudem gilt es auch immer zu bedenken, dass dies ein geschätzter Wert ist, da der NDF-Gehalt und die Verdaulichkeit in den einzelnen Fraktionen unbekannt sind. Dennoch hat sich der peNDF-Wert nach Einschätzung des DLG-Arbeitskreises Futter und Fütterung als am besten für die Bewertung der Strukturwirksamkeit einer Wiederkäuerration geeigneter Indikator erwiesen und wird zur Anwendung empfohlen.
Richtwerte für die Partikelgrößenverteilung in Futtermitteln
Sieb | Lochgröße | Partikelgröße | Maissilage | Grassilage | TMR |
Obersieb | 19 mm | > 19 mm | 3 bis 8 % | 10 bis 20 % | 2 bis 8 % |
Mittelsieb | 8 mm | 8 bis 19 mm | 45 bis 65 % | 45 bis 75 % | 30 bis 50 % |
Untersieb | 4 mm | 4 bis 8 mm | 20 bis 30 % | 30 bis 40 % | 10 bis 20 % |
Siebboden | < 4 mm | < 10 % | < 10 % | 30 bis 40 % |