Kuh-Urteil: endlich Rechtssicherheit?
Die Berufungen waren ausschließlich der Höhe nach erfolgreich, das heißt in finanzieller Hinsicht wurden die Forderungen der Hinterbliebenen aufgrund der Mitschuld der Wanderin um 50 Prozent gekürzt; die Haftung des Almbauern dem Grunde nach aufgrund der Tierhalterhaftung des § 1320 Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) wurde aber vom OLG bedauerlicherweise bestätigt!
Zur Erinnerung: Das Landesgericht Innsbruck (LG) verurteilte am 20.02.2019 den Almbauern zu einer Schadenersatzzahlung an den Witwer und den Sohn der Verunfallten von einmalig ca. 180.000 Euro und monatlich, lebenslangen Renten von zusammen rund 1.550 Euro. Außerdem sollte er für alle zukünftigen Ansprüche aus dem Unfall vom 28.07.2014 haften.
Verschuldensteilung 50:50
Gegenüber dem Urteil des LG sprach das OLG eine Verschuldensteilung zwischen Bauer und Wanderin von 50:50 aus (vorher trug der Bauer zu 100 Prozent das Alleinverschulden). Auch das OLG sah es als erwiesen an, dass der Bauer die ihn gemäß 1320 ABGB treffenden Pflichten nicht nur objektiv, sondern auch schuldhaft verletzt hat. Bemerkenswert ist dabei, dass das OLG keine einzige Feststellung des LG abänderte, das heißt das OLG ging vom exakt gleichen Sachverhalt aus wie das LG. Maßgeblich für das Gericht waren dabei folgende Eckpunkte: Dem Bauern war bewusst, dass seine Mutterkühe sensibel und aggressiv auf Hunde reagieren, insbesondere wenn deren Kälber in der Nähe sind und der Pinnisweg vor allem von Wanderern, teils auch mit Hunden, stark frequentiert war. Er wusste laut OLG zum Unglückszeitpunkt von der erhöhten Aggressivität seiner Kühe im Almsommer 2014. Gleich wie das LG sprach auch das OLG aus, dass der Unfallbereich (neben dem Almgebäude und dem Gasthaus) der am stärksten von Wanderern und Kühen frequentierte Bereich im ganzen Almgebiet war. Deshalb war das bloße Aufstellen von Warnschildern nicht ausreichend; vielmehr hätte der Bauer den neuralgischen Teil des Pinnisweges über ca. 500 m entlang seiner Weidefläche tatsächlich abzäunen müssen, so das OLG (wie das LG).
Auch Fehlverhalten der Wanderin
Lediglich das Verhalten der Wanderin wurde vom OLG in der rechtlichen Begründung nun entscheidend anders bewertet. Sie hat ihre Pflichten als Hundehalterin in folgenden Punkten missachtet: Erstens hätte sie wissen müssen, dass Mutterkühe eine Gefahr für Hunde und damit auch für die Menschen darstellen, die diese Hunde mitführen. Zweitens hat die Touristin das aufgestellte Warnschild nicht beachtet. Drittens ist sie – entgegen der Warnung auf dem Schild – nur in einem Abstand von ein bis zwei Metern an den Kühen vorbeigegangen. Viertens hat es die Wanderin verabsäumt, die Tiere im Auge zu behalten und fünftens hat sie die Leinenführung nicht so gestaltet, dass sie den Hund rechtzeitig loslassen hätte können. Dieses mehrfache Fehlverhalten der verunglückten Wanderin haben sich der Witwer und ihr Sohn zurechnen zu lassen. Dies begründet ein Mitverschulden von 50 Prozent.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das OLG Innsbruck in den entscheidenden rechtlichen Standpunkten keine Änderung vorgenommen hat: Ebenso wie das LG sieht das OLG den Unfallort als stark frequentierten Ort an. Ebenso wie das LG geht das OLG davon aus, dass der Bauer von der erhöhten Aggressivität seiner Mutterkühe im damaligen Jahr 2014 wusste. Ebenso wie das LG geht das OLG davon aus, dass deshalb die aufgestellten Warntafeln der geforderten objektiven Sorgfalt eines ordnungsgemäßen Tierhalters nicht mehr genügten. Ebenso wie das LG geht das OLG davon aus, dass im Unfallbereich abzuzäunen gewesen wäre!
Die Neuigkeit des Urteils des OLG besteht also wohl rein darin, dass das bereits vom LG festgestellte, aber als vernachlässigbar angesehene Mitverschulden der Wanderin nunmehr eine konkrete Wertung bekommen hat und zwar mit der Hälfte. Das Urteil wurde nach der alten Rechtslage gesprochen, weil die erreichten Änderungen im Haftungsrecht erst für Vorfälle nach dem 23. Juli 2019 gelten! Möglicherweise hätte die Wanderin nach der neuen Rechtslage noch mehr (Eigen-)Verantwortung tragen müssen. Das OLG sprach aus, dass eine ordentliche Revision an den Obersten Gerichtshof (OGH) nicht zulässig ist, nur eine außerordentliche Revision. Das heißt, der OGH muss zunächst einmal die a.o. Revision zulassen; dies ist gar nicht sicher. Es bleibt also vorerst
offen, ob der OGH in dieser
Sache noch Recht spricht.
„Dass dem Bauern nicht erneut die alleinige Schuld zugesprochen wurde, ist sicherlich positiv zu sehen. Damit bestätigt sich für mich der fehlende Realitätsbezug des ersten Urteils! Aber auch das Berufungsurteil des OLG ist noch nicht zufriedenstellend, weil es für die Almbauern immer noch keine Rechtssicherheit bietet.“
Josef Hechenberger/LK-Präsident
Josef Hechenberger/LK-Präsident