Blick aufs Konto reicht nicht

Der Betrieb Musterbauer ist ein typischer Grünlandbetrieb mit Milchproduktion und Forstwirtschaft. Frau Musterbauer arbeitet nebenher als Halbtagskraft außerhalb der Landwirtschaft. Am Jahresende 2018 will Familie Musterbauer wissen, ob dieses Jahr etwas übriggeblieben ist. Sie schaut auf das Girokonto, das Sparkonto und auf die aushaftende Kreditsumme (siehe Tabelle 1).
Die Kontostände sind gestiegen, die aushaftende Kreditsumme ist gesunken. Der Geldbestand hat sich um plus 12.571 Euro verändert. Zudem hat die Familie eine Maschine um 5750 Euro angekauft. Aufgrund dieser kurzen Analyse sind Herr und Frau Musterbauer mit dem vergangenen Wirtschaftsjahr sehr zufrieden und sehen keinen unmittelbaren Handlungsbedarf.
Die Analyse
Hätte die Familie gesamtbetriebliche Aufzeichnungen – mit Erfassung des Privatbereichs, einem Anlageverzeichnis und einer Vorrats- und Viehinventur – geführt, würde sie zu einem anderen Schluss kommen. Die Gewinn- und Verlustrechnung mit Einkommenszusammensetzung und -verwendung (siehe Tabelle 2) lässt tatsächlich einen Rückschluss auf die Rentabilität, Stabilität und Entwicklungsfähigkeit des Betriebes Musterbauer zu.
Der Ertrag ergibt sich aus den verschiedenen Ertragspositionen des Betriebes und beläuft sich auf 118.500 Euro. Der Aufwand beträgt in Summe 90.000 Euro. Die größten Posten sind der Futtermittelzukauf mit 18.500 Euro, die Energie- und Anlagenerhaltung mit 20.200 Euro und die Abschreibungen für Gebäude und Maschinen mit 28.400 Euro. Die Abschreibung zieht man jedes Jahr für die Wertminderung und Abnützung des betrieblichen Anlagevermögens ab. Sie errechnet sich aus den Anschaffungskosten dividiert durch die Nutzungsdauer. Die Abschreibung zählt zu den fixen Aufwendungen und ist eine kalkulatorische Größe. Sie fällt unabhängig von der tatsächlichen Auslastung an und ist am Girokonto nicht sichtbar. Der vorliegende Betrieb hat als aussagekräftige Rentabilitätskennzahl eine Abschreibungsquote von 29,2 % oder anders formuliert: Knapp ein Drittel des Produktionsertrages verschlingt jährlich die Abschreibung.
Stellt man die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft dem Ertrag gegenüber, so erhält man die Einkommensrate bzw. Umsatzrentabilität. Der Betrieb Musterbauer hat eine Einkommensrate von 24 %. Das heißt, von jedem Euro Umsatz bleiben 24 Cent als Einkünfte übrig. Dies ist im Vergleich zu ähnlich gelagerten Betrieben eher bescheiden. Das verfügbare Haushaltseinkommen der Familie Musterbauer ergibt sich aus den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft abzüglich der SV der Bauern und einem außerlandwirtschaftlichen Einkommen und beträgt in Summe 32.200 Euro.
Die Ergebnisse der gesamtbetrieblichen Aufzeichnungen zeigen, dass Familie Musterbauer nicht einmal den Privatverbrauch durch das verfügbare Haushaltseinkommen abdecken kann. Rücklagen für die weitere Betriebsentwicklung kann die Familie leider nicht bilden. Diese Unterdeckung spüren sie aber nicht sofort, da sie Teile der Abschreibungen zur Deckung des Privatverbrauchs heranziehen. Erst wenn die Gebäude oder Maschinen nach ihrer Nutzungsdauer ersetzt werden sollen, werden Herr und Frau Musterbauer bemerken, dass das dafür nötige Geld nicht vorhanden ist. Dann müssen sie entweder Kredite aufnehmen oder Grund und Boden verkaufen. Der häufigere Fall ist, dass Landwirte die Betriebsanlagen einfach nicht erneuern, bis sich die junge Generation weigert, mit den alten Maschinen und Gebäuden weiterzumachen.
Das Fazit
Ein Blick auf die Entwicklung des Guthabens der Geldkonten und die Verringerung der Schulden würde auf eine positive Betriebsentwicklung hindeuten. Da im Jahr 2018 nur geringfügige Investitionen mit 5750 Euro im Vergleich zu den jährlichen Abschreibungen von 28.400 Euro getätigt wurden, war eine positive Entwicklung der Geldkonten möglich. Erst entsprechende Aufzeichnungen zeigen, dass der Betrieb Musterbauer nicht in der Lage ist, eine Überdeckung des Verbrauchs zu erzielen und damit im Jahr 2018 von der Substanz, also von den Abschreibungen, gelebt hat. Hält die Unterdeckung über mehrere Jahre an, so gefährdet das mittel- bis langfristig die Existenz des Betriebes. Mit gesamtbetrieblichen Aufzeichnungen würde Familie Musterbauer darüber Bescheid wissen und rasch Handlungen setzen, um die langfristige Entwicklung ihres Betriebes nicht zu gefährden.